Kurzgeschichte: Knockout (2022)

 Knockout

von Dieter C. Domberg

Um 13 Uhr an diesem Samstag war der erlösende Anruf gekommen. Die Chance, aus einem verkorksten Tag doch noch etwas zu machen. „Peter hat sich eine Magenverstimmung eingefangen. Er kann heute nicht. Bist Du fit? Hast Du Zeit? Es wäre sehr wichtig.“ Ja, er hatte Zeit gehabt. Mit Vergnügen hatte er Zeit gehabt. Und es war ihm ein Vergnügen gewesen, wichtig zu werden. An diesem Samstag, an dem nämlich schon einiges schief gegangen war. Das Fahrrad für Sergej zum Geburtstag, es war nicht das Richtige gewesen. Aber Rupert, Lauras neuer Macker, der hatte den richtigen Riecher gehabt. Ja, der kannte Sergej besser als er, der leibliche Vater des Jungen. Dann dieser Idiot, der ihm die Vorfahrt genommen hatte. Wutentbrannt hatte er gehupt und im Wagen vor sich hin geflucht. Wenn es gerumst hätte, er wusste nicht, was er dann mit diesem Kerl gemacht hätte.

Schließlich war dieser Anruf erfolgt. Eine Chance, etwas zu bewirken. Eine Klasse höher als sonst. Und er hatte etwas bewirkt. Es war gut gelaufen wie selten. Ein prachtvoller Reigen von Einzelleistungen und Teamarbeit. Bis zu dieser verflixten Minute. Es war nur ein Ausrutscher gewesen, niemals ein Grund für das, was dann geschah. Er sah den Kerl vor sich. Arrogant grinsend, selbstgefällig, wie er mit dem bunten Stück Karton winkte. Ein fieser Joker des Schicksals, der ihm den Rest geben wollte. Alle waren gegen ihn. Aber nicht mit ihm Er hatte sich gewehrt. Er hatte dieses Grinsen abstellen müssen. Und es war ihm gelungen. Ein ebenso einfacher wie professioneller Jab hatte gereicht, gelernt ist gelernt, der Typ war zu Boden gegangen, ausgeknipst. Keine Sorge, ein paar Minuten, und er würde wieder wie neu sein. Aber es war anders gekommen. Die nächsten Ereignisse hatte er wie in Trance erlebt. Die Ersthelfer, der Notarzt, schließlich der Rettungshubschrauber. Ein lärmender sanfter Engel hatte den Joker fortgebracht. Nun fand man erstmals wieder Zeit, sich mit ihm zu beschäftigen. Mit ihm, Rainer Schmidt, Ersatzspieler in der Kreisliga. „Hast Du den Verstand verloren?“ herrschte ihn Rudi, der Trainer an. „Den Schiri k.o. schlagen wegen einer übrigens völlig berechtigten Roten Karte. Du hattest Mist gebaut, weißt Du das. Sowas muss man einsehen. Aber was machst Du? Zuschlagen. Rainer, hörst Du mir überhaupt zu, weißt Du, was Du getan hast? Der Mann musste mit dem Hubschrauber ausgeflogen werden. Wer erklärt seinem kleinen Sohn, dass sein Vater in Lebensgefahr schwebt?“ „Sie sind vorläufig festgenommen. Verdacht auf gefährliche Körperverletzung gemäß §224 StGB.“ erklang die Stimme von Wachtmeister Radetzky. Rainer ging mit den beiden Beamten, ein gefallener Titan, der zum Zwerg geworden war.

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